Volkstümlicher Konstruktivismus

Ben Sleeuwenhoeks Gemälde und Papierarbeiten wirken auf den ersten Blick wie Darstellungen einer verschwundenen oder verschwindenden Welt. Wie manche Fotoserien von Hilla und Bernd Becher zeigen sie Wände von Fachwerkhäusern.
Vor diesen sind Gegenstände zu sehen, denen man im Alltag heute wohl meist nur noch in Heimatmuseen des ländlichen Raums begegnet: Spinnräder und Holzfässer, Tonkrüge und Kupferkessel, Holzstühle und Sturmlaternen. Über dieser friedlichen Welt der einfachen Dinge steht manchmal die Sichel des Mondes oder rieseln sachte dicke, weisse Schneeflocken. Nicht zufällig wird manchem Betrachter diese Idylle märchenhaft vorkommen. Manche der Dinge wie kariertes Bettzeug und Würfel, Spinnrad und Kupferkessel eröffnen einen erzählerischen Raum, der am ehesten dem Bereich des Märchens zuzurechnen ist.
Wie im Märchen finden sich auch hier dunkle, bedrohliche Motive wie Beil, Guillotine, Galgen oder Knochenhaufen, die auf den dramatischen Höhepunkt der ansonsten eher beschaulichen Handlung verweisen, an dem Held oder Heldin in arge Bedrängnis geraten, aber auch unweigerlich die Errettung naht.

Ist man dieses Verweischarakters der Dinge erst einmal gewahr geworden, entgeht einem auch die Künstlichkeit der ganzen Szenerie nicht länger. Die dargestellten Dinge sind oftmals nur als Silhouette wiedergeben, und das Fachwerk folgt immer wieder nicht den tektonischen Bedürfnissen, sondern treibt immer wieder kleine Verzweigungen aus, die keinerlei tragende Funktion haben könnten. In anderen Gemälden und Gouachen ist das Fachwerk gar als Perlstab gestaltet, in verschiedenen Farbtönen angelegt oder ornamental mit bunten Punkten besetzt.

Sleeuwenhoek hat diese Bildform in den vergangenen Jahren entwickelt; so sind schon in den Gemälden seit 2004 Darstellungen von Gegenständen, die in unserer urbanen Welt einen leicht anachronistischen Touch haben, noch ein wenig zusammenhanglos versammelt. Eine Zwischenstufe von Sleeuwenhoeks Gemälden stellt die Assemblage von Gegenständen vor einer angedeuteten Backsteinmauer oder in einem Raumkonstrukt dar, das mit seinem Dielenboden und hölzernen Wänden an die frühen Dachbodenbilder Anselm Kiefers gemahnt.
Mit dem Fachwerk aber ist es Sleeuwenhoek gelungen, seine Gemälde mit einer kompositionellen Struktur zu versehen, in deren flach gehaltener, illusionistischer Räumlichkeit sich die verschiedenen Gegenstände entweder bruchlos einfügen oder auf eine fruchtbare Weise in Konflikt geraten.

Dieses Bildgerüst mag man durchaus als Sleeuvenhoeks Reverenz an seine niederländische Heimat verstehen, wenngleich diese sich auch nicht, wie man erwarten könnte, auf die ländliche Architektur bezieht, sondern auf den wohl bedeutendsten holländischen Beitrag zur Klassischen Moderne, die konstruktive Malerei Piet Mondrians.

Mondrian war Anfang der 1910er Jahre über die Malerei Paul Cézannes und der Kubisten zu seinen Fassadenbildern gelangt. In Gemälden wie Blaue Fassade, 1914, Fondation Beyeler, Riehen/Basel, oder Kirchenfassade 1, 1914, Gemeentemuseum, Den Haag, konnte er eine flächengebundene und architektonische Bildkomposition entwickeln, ohne die gegenständliche Darstellung gänzlich aufgeben zu müssen. Von hier aus war es nur ein kleiner Schritt zu rasterartigen Bildkompositionen wie Komposition mit Gitterwerk 1 (Raute), 1918, Gemeentemuseum, Den Haag, in denen die modulare Gestaltung die Rückbindung an das gegenständliche Vorbild abwerfen und sich vollständig auf die Gegebenheiten des Tafelbildes wie Farbe, Linie und Fläche beziehen konnte.
Ben Sleeuwenhoeks Gemälde und Gouachen stehen, was auf den ersten Blick erstaunen mag, in der Traditionslinie der konstruktiven Malerei. Dies zeigt sich unter Anderem auch daran, dass sie eine glatte Pinselfaktur ohne Spuren einer individuellen Handschrift aufweisen. Auch aufgrund dieser bewusst un-malerischen Ausführung oszillieren die Bildelemente wie Mond, Spinnrad, Fass, Krug zwischen der Darstellung eines realen Gegenstandes und einem Emblem; dies trifft besonders auf solche Elemente wie das Herz zu, das mehrfach in dieser zeichenhaften Form auftritt. So ist es in Gemälde Ohne Titel 2012 beispielsweise als Symbol auf einer Spielkarte zu sehen oder erscheint auf zwei ebenfalls zwischen 2008 und 2010 entstandenen Gemälden als aus Tür oder Fensterladen ausgeschnittene Form und evoziert so altertümliche Sanitäreinrichtungen.

Andere Elemente eröffnen als Bildzeichen einen ganzen Reflexionsraum zur Funktion von Malerei selbst. Während die zahlreichen Bilderrahmen auf die Jahrhunderte gültige Präsentationsform des autonomen Tafelbildes an sich anspielen, verweisen Fensterrahmen sowie gemalte und reale Spiegelflächen auf die Funktion des Gemäldes, Welt zu spiegeln und die Illusion eines Raums hinter der Öffnung des Bilderrahmens zu eröffnen. In diese Richtung weisen auch Vorhang, Vögel und Fliege, die von den antiken Anekdoten bis zu den niederländischen Stillleben des 17. Jahrhunderts den Illusionismus in der Malerei nicht nur symbolisierten, sondern mit der Täuschung des Betrachters unmittelbar unter Beweis stellten.
Andere Bildelemente wie die Spielkarte oder die Zielscheibe verweisen auf jüngere Kunsttendenzen: So fand die Spielkarte als Motiv im synthetischen Kubismus eines Pablo Picasso, Georges Braque oder vor allem Juan Gris Verwendung, wo sie als symmetrisches Flächenbild eine Alternative zum illusionistischen Bildraum darstellte. Die Zielscheibe gemahnt an die tautologischen Bildfindungen von Jasper Johns, der mit Flagge, Ziffer und Zielscheibe Motive gewählt hatte, welche er zwar akribisch nachbildete. Da sie aber mit ihrer Flächigkeit eine Grundbedingung des modernen Gemäldes von sich aus mitbrachten, konnte Johns angesichts seiner Flaggenbilder mit Fug und Recht die kategoriale Frage stellen, ob es sich bei diesen um Flaggen oder Gemälde handele. Schliesslich mag man in dem als blosse Silhouette gegebenen Spinnrad einen entfernten Nachkommen von Marcel Duchamps erstem Ready-Made Roue de Bicyclette von 1913 sehen. Diese Deutung eröffnet einen anderen Aspekt der Sleeuwenhoek'schen Bildelemente. Der Maler hätte seine durch Silhouettierung und Einfarbigkeit standardisiert erscheinenden Bildelemente dann bloss aus einem vorhandenen Vorrat ausgewählt, wie ein Jahrhundert zuvor Duchamp aus dem Angebot des Pariser Kaufhäuser und Metallwarenhandlungen.

So verbinden Sleeuwenhoeks Werke zwei Extreme miteinander, zwischen denen die Lesart dieser immer wieder changiert. Kaum scheint die Waage in eines der beiden Extreme auszuschlagen, wird die Wahrnehmung wieder auf die andere Seite gelenkt. Eine abschliessende Deutung bleibt unmöglich.

Heinz Stahlhut

Sammlungskonservator am Kunstmuseum Luzern

 

Ben Sleeuwenhoek’s works are a reflection on the modes of perception and access to reality. Particularly intellectual, his painting does away with the myth of the artist, who is transcendentally inspired, whose hand paints sensually and fiery a divine message charged with vibrant, animal and sensual tensions. By consciously referring to spiritual painters, such as Mondrian, he uses painting and images as tools to explore the concept of reality and representations. In this quest he gives the sensitive and the intellect their respective shares back and tries to determine just how much of our lives can be a constellation of illusions and conventions.

A critical discourse tinged with irony and eclecticism betrays the influence of postmodernism on the artist. Everything is an illusion: the lack of guarantee that any truth exists is a central theme in his work. The codes and conventions, such as language, numbers, and the representation of space, may not be reliable tools to answer some existential questions, as they can only generate conventional responses. In this quest for the universal, Sleeuwenhoek mistrusts individualizing elements as the impression of movement in painting or the expression symbols assigned to colours. These would be the matter of emotion, of an intimate but also agreed iconography. Or the representation of reality through the traditional, vanishing point perspective, a testimony to the hegemony that a habit can exercise on the representation of images on a collective scale. Acknowledging that every convention is the result of a society building its own tools of communication, Sleeuwenhoek distances himself from discriminating and traditional codes of painting. The eyes and mind are freed from the reductive conventions by refusing the seductive trap of effortless standardization that makes a simplified and limited vision of the world accessible to everybody.

Aware that sensations are an absolutely subjective source of information and that they couldn’t carry the universal truth, Sleeuwenhoek mistrusts the perception and the affect. The artist suggests a construction of the image destined to build a method. This is precisely what makes his art so particular. The forms of a motive would draw too much attention. He reduces the iconographic elements to an absolute sleekness, shadows. Purified of all superficial lines, the silhouettes allude to the essence of the object. The object, always identifiable, doesn’t exist for itself anymore, but subsumes the genre it belongs to. Not being disturbed by the individuality, the spirit can move more quickly to the symbolism of its message. The shadow also represents, according to the well-known allegory of Plato’s cave, the first access to knowledge, or, at least, to the illusion of knowledge… These “symbol-icons” evolve on flat and ordinary backgrounds as the brick wall or timber, denying the singularity of physical space and time and focusing on the mental and timeless dimension of their projection. The layers are superimposed without space, without illusion and without deception, causing interactions between the elements and a renewal of patterns of meanings that run through the combination, the addition, the contradiction and the dialogue between the forms. Far from the linearity of a riddle, these images open the possibilities of meanings to a multitude of interpretations: a juxtaposition of undetermined symbols that deeply and largely affect the individual and collective spirit.

Sleeuwenhoek’s iconographic world consciously employs fairly usual objects, which according to him, make up our daily lives. Rustic furniture, dice, mushrooms, hearts or bones sometimes refer back to kitsch. This interrogation of reality mixed with a certain ironic detachment goes as far as bringing up spiritual concerns with the question of existence itself. Certain recurrent motives such as the eyes and the origin of light reveal the influence of numerous trips to India and the Far East, which constitute a reflection on knowledge and its footprint in everyday life, while other elements rather evoke melancholy embodied by vanities.

A certain fear of missing the meaning of life leads to a rejection of current findings, denying the existence of any truth. This interpretation is at the heart of the post-modern discourse. The semantic openness allows the artist to escape the sad record in opening the field of possibilities. His works constitute a broader system of comprehending reality, which through simple, accessible and open codes leaves a great role for the imagination. With some relish, Sleeuwenhoek invites the viewer to focus on himself and his environment with a view alternately grated, naive, raw, amazed and amused. The strength of his work lies in the surprising mixture of melancholy and irony evident in the lightness with which he speaks of death, life and their possible significance. All his paintings present these two themes in double lexical fields. Crossing or confronting each other, sometimes even united. Allowing one, through a quasi-existentialist inspiration, to perceive the fundamental and universalquestions.

Matthieu Lelièvre